Zugegeben, ich habe mir natürlich überlegt, eine Art Tagebuch zu führen. Durchaus. Ist doch eine gute Sache. Man schreibt, wie man selbst mit der Situation umgeht und motiviert andere Menschen dazu, den Umständen eine positive Seite abzugewinnen (die gibt es natürlich auch), oder ein wenig länger die Nerven zu bewahren. Hervorragende Gründe.
Ich finde es toll, wie Brian Keene das macht, oder auch auf ganz andere Weise die Schauspieler Sam Neil und Patrick Stewart, beide toben sich auf Instagram aus [Achtung – die Links von Neil und Stewart führen zu Instagram]. Stewart hat riesigen Anklang gefunden, weil er jeden Tag ein Sonett von Shakespeare liest und die Leute fahren voll darauf ab. Großartig. Das ergibt dann die zu erwartenden Picard-Zitate bei den Kommentaren, oder auch mal ein Oh Captain, mein Captain (wer weiß noch, woher das stammt? Kleiner Hinweis – es ist nicht Star Trek). Sam Neil hat auf andere Art Spaß an der Situation und das ist nicht minder unterhaltsam. Beide sind unglaublich sympathische Menschen.
Tagebuch ist ein Format, das ich nie wirklich durchgehalten habe und oh ja, ich habe es im Laufe der Jahre mehrmals probiert. Aber in der Hinsicht bin ich echt ein kläglicher Versager. Dabei habe ich mir die tollsten Journale zugelegt, liniert und kariert (absolut und überwältigen bevorzugt), unterschiedlichste Stifte in verschiedensten Farben. Bereit, die Welt mit zehntausenden Seiten Tagebuch zu bedenken, wie sie mein so sehr geschätzter und verehrter Philip K. Dick hinterlassen hat. Und … nach spätestens ein paar Tagen war das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Journale wurden zu Schmierzetteln verarbeitet oder sonst zweckentfremdet und die Stifte … keine Ahnung. Sind nach und nach verschwunden. Das war bei jedem einzelnen Versuch so und irgendwann hat selbst ein sturer Esel wie ich kapiert, dass das Thema Tagebuch nicht mein Thema ist.
Und dann ist da der Umstand, dass ich denkbar ungeeignet bin, Zuversicht und Optimismus zu versprühen. Ich bin ein Kind aus der Zeit des kalten Krieges und der emotional unterkühlten, dystopischen Science Fiction – die Filme mit der eiskalten, klaren Bildsprache, den menschenleeren Weiten und den von klaren Linien und wenigen Farben geprägten Innenräumen – Fahrenheit 451, Logans Run, The Andromeda Strain, Capricorn One, Invasion of the Body Snatchers, aber auch The Omega Man, Silent Running, natürlich Uhrwerk Orange. Das hat mich durchaus geprägt und wirkt bis heute nach.
Keinem dieser Filme, selbst Logans Run nicht, kann man eine positive Weltsicht unterstellen. Wirft man noch Streifen wie Soylent Green ins Rennen, oder einen paranoiden Kalter-Kriegs-Thriller wie Telefon (mit Charles Bronson), oder einen Horror wie The Elephant Man in den Mix, wird es richtig interessant ;-).
Natürlich mache ich mir meine Gedanken zur Situation und darüber, wie es wohl weitergeht, wie lange dieser Zustand anhalten wird. Die Sache ist in der Hinsicht aber eben die, dass ich nicht positiv denke, was die Zukunft anbelangt – siehe die Filme oben. Ich neige zur Ansicht, dass viele Einschränkungen und Reglementierungen in der einen oder anderen Form bleiben werden, das Leben jedes einzelnen einer stärkeren Kontrolle unterworfen bleibt und die Überwachung weiter ausgebaut bleibt. Auch die gewaltige Vernichtung von Arbeitsplätzen, Kleinstunternehmen, von Vermögen, das jahrzehntelang aufgebaut wurde, ist, denkt man weiter, bedenklich. Und will ich ganz paranoid werden, dann setze ich den Alu-Hut auf und denke an die bewusste Steuerung solcher Vorgänge und wer welchen Gewinn daraus zieht.
Das sind jetzt nicht unbedingt Gedanken, die aufbauend sind oder dazu beitragen, dass sich die nervtötende Gesamtsituation leichter ertragen lässt. Ein Tagebuch in dieser Richtung, oder einen täglichen Blogeintrag, der von Paranoia und negativer Zukunftssicht geprägt wird, das will ich niemandem antun, nicht einmal mir selbst ;-). Mir reicht das Wissen, dass ich in der größten “Zielgruppe” dieses Virus bin – wenn man das Alter als Kriterium heranzieht. Das ist unangenehm genug, um nicht zu sagen, beschissen. Aber meine Fresse, ist eben so. Dazu kommt, ich fühle mich die meiste Zeit nicht zur Zielgruppe gehörend – gedankliches Alter und biologisches Alter sind zwei Dinge, die nicht so viel miteinander zu tun haben.
ABER: Wie alles im Leben hat alles Schlechte auch eine gute Seite (und umgekehrt). So ist es auch hier. Der Brotjob muss erzwungenermaßen ruhen, mit der unangenehmen finanziellen Nebenwirkung, trotzdem ist die Situation für mich auch positiv. So komme ich doch dazu, mich um viele Dinge zu kümmern, für die es sonst einfach nie Zeit gab, weil so viele andere Dinge zuerst erledigt werden mussten. Zu viele Interessen, zu viele Pläne, zu viel … alles. Jetzt ist ein wenig mehr Spielraum gegeben. Nicht nur für das Schreiben, sondern auch für andere Aktivitäten, die man online betreiben kann und möchte, für die sich aber nie ausreichend Zeit fand, sie zu durchdenken, zu planen und dann umzusetzen.
Ich wünsche jedem Menschen, dass er die aufgezwungene Situation so gut wie möglich für sich nützen kann und aus dieser durchaus ungewöhnlichen Erfahrung eine positive Erfahrung mitnimmt. Ich war vor einer Woche noch in Wien und diese Leere in Zügen, U-Bahn und auf den Straßen erinnerte mich an 28 Days Later, an den Anfang, als unser Held durch das leere London stolpert. So hat es sich für mich angefühlt – und das war tatsächlich eine positive Erfahrung für mich. Ich weiß jetzt ansatzweise, wie sich das anfühlt.
Ich hoffe durchaus, das diese Situation einmalig war, auch wenn ich glaube, dass das erst der Anfang ist und auf uns noch einige Dinge zukommen werden, die noch heftiger sind als das Coronavirus.
Ich halte mich da an den von mir sehr hoch geschätzten Meeresbiologen und Science Fiction-Autor Peter Watts, der in seinem letzten Beitrag recht zuversichtlich klang, bis am Ende die letzten Sätze losgelassen hat:
This is a festival: an epidemiological Woodstock with no expiration date. COVID—like SARS and MERS and the various flus before it— is only the beginning. And if history is any judge, future acts will come increasingly thick and fast.
Brace yourselves. You ain’t seen nothing yet.
“Macht euch bereit. Ihr habt noch nichts gesehen.”
Ufff …! Und weil ich solche Gedanken leider für sehr realistisch halte, sollte ich wohl besser gar nicht erst versuchen, tagtäglich meine Gedanken zur Situation zu posten. Da höre ich lieber Sir Patrick Stewart zu, wie er Shakespeare liest.
Oh Captain, mein Captain.
#staythefuckhome #readsomefuckingbooks
Lest das hier. Lest das hier. Lest das hier. Bedient euch hier!
.